Seit September 2023 lag das Neubaugebiet Scheckert-Lausrain komplett auf Eis, weil das Bundesverwaltungsgericht beschleunigte Bauverfahren für rechtswidrig erklärte. Nun hat die Bundesregierung nachgebessert, sodass die Bauleitplanung im Eiltempo weitergehen kann. Der Gemeinderat entschied mehrheitlich, mit dem Neubaugebiet in die nächste Runde zu starten.
Das Bauleitverfahren für das Neubaugebiet Scheckert-Lausrain steckte wegen eines gekippten Bundesgesetzes von September 2023 bis jetzt fest. Im Zuge der Flüchtlingskrise schuf die damalige Bundesregierung im Jahr 2017 ein Gesetz für beschleunigte Bauverfahren, den Paragrafen §13b Baugesetzbuch. Kommunen konnten demnach unter bestimmten Voraussetzungen Baugebiete ohne tiefergehende Umweltprüfung ausweisen, etwa wenn das fragliche Gebiet im Außenbereich mit Anschluss an bestehende Wohnbebauung lag und kleiner als 20.000 Quadratmeter war. In Margetshöchheim war das beim geplanten Neubaugebiet Scheckert-Lausrain der Fall. Weil Wohnraum in Margetshöchheim knapp ist, begann der Gemeinderat 2019 mit einem Konzept zur Baugebietsausweisung, um auf dem Areal Wohnbebauung zu ermöglichen. Im vergangenen Jahr war das Bauleitverfahren bereits in vollem Gange, etliche Beschlüsse zur Ausgestaltung von Scheckert-Lausrain waren verabschiedet. Im September hätte der Bebauungsplan in zweiter Lesung beschlossen und die neuerliche Anhörung der 49 Träger öffentlicher Belange (TÖB) gestartet werden sollen, doch dem machte ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts einen Strich durch die Rechnung.
Neuer Paragraf ermöglicht den Abschluss beschleunigter Bauverfahren
Das höchste deutsche Verwaltungsgericht urteilte vergangenen Sommer in letzter Instanz, dass beschleunigte Bauverfahren nach §13b Baugesetzbuch rechtswidrig sind, weil sie gegen EU-Recht verstoßen. Geklagt hatte der Bund Naturschutz (BUND) gegen ein Neubaugebiet in einer baden-württembergischen Gemeinde; die Umweltschützer waren der Auffassung, dass das beschleunigte Bauverfahren mit fehlender Umweltprüfung gegen das Unionsrecht verstößt. Das Gericht schloß sich dieser Rechtsauffassung an, und so entstand ein Präzedenzfall, von dem etliche Kommunen in ganz Deutschland betroffen waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat insbesondere beanstandet, dass die Baulandentwicklung im Außenbereich nicht vollständig von einer Umweltprüfung ausgenommen werden darf. Nun hat die Bundesregierung den juristischen Murks nachgebessert und im Dezember 2023 etwas versteckt in Art. 3 des Gesetzes für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze (WPGEG) einen neuen § 215a Baugesetzbuch verabschiedet, der den alten Paragrafen ersetzt und Rechtsklarheit schaffen soll. Diese "Reparaturklausel" gilt allerdings nur für angefangene Bauleitplanungen und nur bis zum 31. Dezember 2024. Kommunen haben nun die Möglichkeit, das beschleunigte Verfahren fortzuführen, indem sie eine umweltrechtliche Vorprüfung nachholen. Für Scheckert-Lausrain hat es zwar bereits umweltrechtliche Gutachten seitens der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) gegeben und es wurden auch schon Ausgleichsmaßnahmen z.B. zum Schutz von Fledermäusen festgelegt, doch dies reicht nicht aus. Ob der neue § 215a tatsächlich rechtssicher ist, wird laut Recherchen der Blog-Redaktion unter Juristen kontrovers diskutiert. Es gibt Bedenken, ob eine bloße Vorprüfung tatsächlich ausreichen kann, um das Unionsrecht zu erfüllen, insbesondere wenn das Bauleitverfahren schon weit vorangeschritten ist. Da der neue Paragraf aber nur bis Dezember gilt, ist diesbezüglich kein Gerichtsurteil zu erwarten.
In der Januar-Sitzung des Gemeinderates wurde heiß diskutiert, wie die Bauleitplanung nun weitergehen soll. Das Gremium musste darüber entscheiden, ob das beschleunigte Verfahren nach dem neuen Gesetz fortgeführt werden soll oder ob man nach vier Jahren Planung nun wieder komplett bei Null anfangen und in ein Regelverfahren einsteigen soll. Gemeinderat Simon Haupt (CSU) vertrat die Auffassung, dass man in den Rechtsstaat vertrauen und den eingeschlagenen Weg fortführen solle, auch wenn dies mit Risiken behaftet sein könnte. Gemeinderätin Daniela Kircher von der SPD / UB meinte, dass der Gesetzgeber die Übergangsmöglichkeit extra geschaffen habe und die Gemeinde diese nutzen sollte, um die schon weit fortgeschrittene Planung dieses Jahr durchzuziehen: "Es gibt für mich überhaupt keinen Grund, ins Regelverfahren einzusteigen". Auch Bürgermeister Waldemar Brohm plädierte für das beschleunigte Verfahren, da schon Zeit verloren ging und die Leute "händeringend" auf den Fortgang der Bauleitplanung und auf Planungssicherheit warten würden. Der Gemeinderat stimmte am Ende mit 12:1 Stimmen für die Fortführung des beschleunigten Verfahrens.
Jetzt ist eine umweltrechtliche Vorprüfung nötig
Ganz anderer Meinung war der Fraktionsvorsitzende der MM, Gerhard von Hinten. Er regte an, den "sicheren Weg" zu beschreiten und angesichts von Risikofaktoren wie den Ergebnissen der UNB "sorgfältig von vorne anzufangen". Er befürchtete, dass die bisher festgelegten Ausgleichsmaßnahmen nicht genügen könnten, weil die illegalen Rodungen am Scheckert aus dem Jahr 2020 umweltrechtliche Auswirkungen haben könnten (siehe auch Blog-Artikel https://www.margetshoechheim-blog.de/natur-umwelt/32-illegale-rodungen-am-scheckert-sorgen-f%C3%BCr-%C3%A4rger). Bürgermeister Brohm betonte, dass diese Rodungen jedoch überhaupt nichts mit dem Bauleitverfahren zu tun hätten. Die widerrechtlichen Eingriffe wurden von einem privaten Eigentümer durchgeführt, dieser hat deshalb ein Verfahren der UNB wegen Verstoß gegen das Naturschutzgesetz am Hals. Brohm wehrte sich gegen das Ansinnen des MM-Fraktionsvorsitzenden, für die Rodungen gemeindliche Ausgleichsflächen zur Verfügung zu stellen: "Ich sehe nicht ein, dass die Gemeinde gemeindliche Flächen hernimmt, um einen privatrechtlichen Verstoß zu heilen. Das soll die UNB mit dem Eigentümer auskaspern". Auf Nachfrage ergänzt der Bürgermeister, dass es auch aus juristischen und finanziellen Gründen nicht in Frage käme, dass die Gemeinde (und damit die BürgerInnen als Geldgeber) die Rechtsverstöße von Privatleuten ausgleicht. Um das Bauleitverfahren fortzuführen, muss die Gemeinde nun die umweltrechtliche Vorprüfung nachholen und will sich dafür schleunigst mit der UNB in Verbindung setzen.
Gemeinde steigt auch in die Wärmeplanung ein
Die überarbeitete Gesetzgebung zum beschleunigten Bauverfahren ist in das Gesetz für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze (WPGEG) eingebettet, das im Dezember 2023 verabschiedet wurde. Es sieht vor, dass eine verbindliche und flächendeckende Wärmeplanung in ganz Deutschland geschaffen wird. Kommunen mit mehr als 100.000 EinwohnerInnen müssen bis 2026, die kleineren unter 100.000 EinwohnerInnen bis 2028 eine Wärmeplanung vorlegen. Heizungen machen in Deutschland über 50 % des gesamten Endenergieverbrauchs aus. Für das Neubaugebiet Scheckert-Lausrain macht sich Margetshöchheim auch ohne gesetzlichen Zwang jetzt schon auf den Weg, um nachhaltige Heizlösungen zu finden. Im Jahr 2022 besichtigten die GemeinderätInnen beispielweise die Gemeinde Binsfeld bei Arnstein, wo die Dorfgemeinschaft eine zentrale Hackschnitzelheizung und ein eigenes Nahwärmenetz aufbaute, um die BürgerInnen mit Wärmeenergie zu versorgen. Dafür wurde ihnen der E.ON Innovationspreis verliehen. Allerdings ist die Anlage aufwändig und teuer zu installieren, für Margetshöchheim ist diese Lösung daher vom Tisch, berichtet der Bürgermeister auf Nachfrage. Inzwischen habe die Gemeinde aber Gespräche mit der MFN, der Energie Lohr-Karlstadt sowie dem Investor der Freifeld-Photovoltaik geführt, um ein lokales Nahwärmenetz aufzubauen. Technisch sei dies grundsätzlich vorstellbar, in naher Zukunft würden entsprechende Konzepte erarbeitet, sagt Brohm. Derzeit plane man allerdings nur für die Gebäude der Gemeinde und den verdichteten Wohnungsbau, weil die meisten PrivateigentümerInnen laut Umfrage bisher wenig bis kein Interesse an einem entsprechenden Anschluss hätten.
Ökologische und soziale Ausrichtung im Scheckert-Lausrain
Für die Gemeinde macht der Aufbau eines regionalen Nahwärmenetzes im Neubaugebiet Sinn, weil Scheckert-Lausrain grundsätzlich eine ökologische Ausrichtung bekommen soll. Mit den Flächen am Scheckert-Lausrain hat Margetshöchheim erstmals seit Jahrzehnten ein größeres Baugebiet ausgewiesen. Das Areal soll nicht 08/15 bebaut werden, sondern mit ökologischer und sozialer Komponente. In etlichen Sitzungen und Workshops erarbeiteten die GemeinderätInnen in den vergangenen Jahren verschiedene Aspekte - von der Anzahl und Art der Gebäude über die Verkehrserschließung bis hin zur Wasser- und Energienutzung. Aus den Vorschlägen fertigte das Planungsbüro Haines Leger einen städtebaulichen Entwurf, der seit Oktober 2021 als Grundlage für weitere Beschlüsse dient.
Das Baugebiet Scheckert-Lausrain wurde damals geringfügig um kleine Teilflächen von bestehenden Grundstücken erweitert und umfasst nun knapp 20.000 qm (die überbaubare Fläche umfasst 12.000 qm). Davon gehören der Gemeinde durch Zukäufe bzw. Umlegung rund 50 %, die andere Hälfte wird von 12 PrivateigentümerInnen bebaut. Die Gemeinde will 30 % des Baugebiets für sozialen Wohnungsbau vorhalten. Analog zum Baugebiet Birkäcker sollen Bauplätze am Scheckert-Lausrain im "Ansiedlungsmodell" anhand eines Punktesystems vergünstigt vergeben werden - Kriterien sind z.B. Ortsansässigkeit, Einkommensgrenzen und ehrenamtliches Engagement. Insgesamt sollen im neuen Baugebiet circa 100 Wohneinheiten entstehen, verteilt auf Einfamilienhäuser, Doppelhaushälften und Mehrfamilienhäuser. Auch ein Mehrgenerationenhaus ist von einem Eigentümer geplant. Im Sinne der Nachverdichtung können je nach Lage der Grundstücke bis zu drei Vollgeschosse errichtet werden. Bei einer durchschnittlichen Belegung mit 2,5 bis 3 Personen pro Wohneinheit entspricht das rund 300 EinwohnerInnen. Zudem plant auch der Eigentümer des angrenzenden Götz-Areals zahlreiche neue Wohneinheiten. Am Ende dürften mehr als 10 % aller MargetshöchheimerInnen im Scheckert-Lausrain wohnen. Für die Aufteilung des Areals hat die Gemeinde mit den GrundstückseigentümerInnen ein freiwilliges Umlageverfahren initiiert, um das langwierige gesetzliche Verfahren abzukürzen; dieses lief allerdings nicht so reibungslos wie erhofft, da die Vorstellungen etlicher Privatleute von dem städtebaulichen Konzept der Gemeinde abwichen. Vorsorglich beschloss der Gemeinderat bereits, dass neue Baugebiete in Zukunft nur ausgewiesen werden können, wenn die Flächen im alleinigen Eigentum der Gemeinde liegen.
Im Neubaugebiet Scheckert-Lausrain wurden bereits Details zur Verkehrsplanung und zum Immissionsschutz beschlossen. Im Wohngebiet favorisieren die GemeinderätInnen eine ringförmige Straße, die durch zwei kreuzende Wege ergänzt wird. Dabei soll ein von Bäumen gesäumter wassergebundener Weg von der Einfahrt ins Wohngebiet bis zum grünen Ortsrand die "Sichtachse" prägen. Für eine gute Anbindung an das Ärztehaus sowie den Wiesenweg sollen neue Treppen und Fußwege sorgen. Parkmöglichkeiten sollen durch Tiefgaragen und Stellplätze entstehen, zudem könnten an der Straße "Am Scheckert" eventuell Parkplätze und Ladesäulen geschaffen werden. Von großer Bedeutung wird die Anbindung des Wohngebiets an die Staatsstraße sein. Weil mit mehr Verkehrsaufkommen zu rechnen ist, wird die Kreuzung von der St 2300 nach Margetshöchheim Süd komplett neu geplant, um eine direkte Zufahrt zu schaffen. Mögliche Varianten wären ein Kreisverkehr (der aufgrund seiner Dimensionen eher unwahrscheinlich ist), eine Linksabbiegespur mit Unterführung für Fußgänger oder eine Linksabbiegespur mit Ampel. Für Fußgänger und Radfahrer ist eine Unterführung von der (dann barrierefreien) Bushaltestelle Bachwiese zum Mainradweg angedacht. Wie die Zufahrt zur bzw. von der St 2300 realisiert werden kann, entscheidet letztlich das Straßenbauamt. Diesbezügliche Gespräche laufen.
Ein besonderes Augenmerk liegt beim neuen Baugebiet auf dem Thema Ökologie. Der Gemeinderat hatte sich explizit gewünscht, dass umweltbezogene Aspekte bei der Planung von Park- und Verkehrsflächen, der Wohnraumstruktur, der Entwässerung und Energiegewinnung berücksichtigt werden. Auf dem Planungsgebiet sind 48 Bäume kartiert, diese sollen größtenteils erhalten und durch Nachpflanzungen ergänzt werden. An der Einfahrt zum Wohngebiet sollen das "Baumtor" und eine als Biotop geschützte Hecke erhalten bleiben. Der jetzige Feldweg in Richtung Norden soll als wassergebundener Weg die "Sichtachse" in die Natur beibehalten. Zwischen den Gebäuden sind zahlreiche Grünflächen, teils mit öffentlicher bzw. "halböffentlicher" Nutzung vorgesehen. Teilweise begrünte Fassaden und Dächer sollen die Artenvielfalt und ein ausgeglichenes Mikroklima fördern. Regenwasser soll über Rigolen versickert und gesammelt werden, auch ein naturnaher Regenwasserteich am südöstlichen Rand des Wohngebiets ist vorgesehen. Eine großflächige Regenwasserversickerung ist in dem Baugebiet allerdings nicht möglich, weil der felsige Untergrund kaum Regenwasser aufnehmen kann; das ergab ein Gutachten. Das angestrebte "Schwammstadt-Konzept" lässt sich daher nicht realisieren. Des Weiteren gab es bereits Planungen zur Nutzung regenerativer Energien wie Photovoltaik auf den Dächern.