Schockmoment in der September-Sitzung des Margetshöchheimer Gemeinderates: laut einem neuen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sind beschleunigte Bauverfahren nicht mit EU-Recht vereinbar und damit nichtig. Viele Kommunen sind betroffen; in Margetshöchheim liegt nun das ganze Neubaugebiet Scheckert-Lausrain nach vier Jahren Planungszeit auf Eis.
Um den Wohnungsbau voranzutreiben, wurde in Deutschland im Zuge der Flüchtlingskrise im Jahr 2017 das sogenannte beschleunigte Bauverfahren eingeführt: laut §13b Baugesetzbuch konnten Kommunen demnach unter bestimmten Voraussetzungen Baugebiete ohne tiefergehende Umweltprüfung ausweisen, etwa wenn das fragliche Gebiet im Außenbereich mit Anschluss an bestehende Wohnbebauung lag und kleiner als 20.000 Quadratmeter war. In Margetshöchheim war das beim geplanten Neubaugebiet Scheckert-Lausrain der Fall. Weil Wohnraum in Margetshöchheim knapp ist, begann der Gemeinderat 2019 mit einem Konzept zur Baugebietsausweisung, um auf dem Areal Wohnbebauung zu ermöglichen. Mit der Ausweisung des Neubaugebiets taten sich viele im Gremium schwer, doch letztlich überwog auch mangels alternativer Flächen zur Nachverdichtung im Innenbereich das Bekenntnis zur Erweiterung des Wohnungsangebots in Margetshöchheim. Das Bauleitverfahren war aktuell in vollem Gange, etliche Beschlüsse zur Ausgestaltung von Scheckert-Lausrain waren verabschiedet. Eigentlich hätte in der jüngsten Gemeinderatssitzung der Bebauungsplan in zweiter Lesung beschlossen und die neuerliche Anhörung der Träger öffentlicher Belange (TÖB) gestartet werden sollen, doch daraus wurde nichts. Denn Bürgermeister Waldemar Brohm berichtete, dass das Leipziger Bundesverwaltungsgericht die beschleunigten Bauverfahren im Juli grundsätzlich für nichtig erklärt hat. Nun liegt Scheckert-Lausrain wegen des Urteils vorerst komplett auf Eis.
Der Gesetzgeber hat es gut gemeint und schlecht gemacht
Das Urteil des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts wirkt sich in der ganzen Bundesrepublik auf unzählige Wohnbauprojekte aus und ist, da es in letzter Instanz gefällt wurde, nicht anfechtbar. Geklagt hatte der Bund Naturschutz (BUND) gegen ein Neubaugebiet in einer baden-württembergischen Gemeinde, weil die Umweltschützer der Auffassung waren, dass das beschleunigte Bauverfahren mit fehlender Umweltprüfung gegen das Unionsrecht verstößt. Die Klage ging bis in die letzte Instanz und schuf damit einen Präzedenzfall für ganz Deutschland: Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diese Rechtsauffassung mit seinem Urteil im Juli diesen Jahres und erklärte §13b BauGB für gesetzeswidrig, weil der Paragraf gegen EU-Recht verstößt. Umweltauswirkungen würden nicht ausreichend berücksichtigt. Das Gericht kann Gesetze zwar nicht aufheben, doch nun fehlt die Rechtsgrundlage für Baugebiete im beschleunigten Verfahren. Die Folge: schnelleres Bauen ist in Deutschland damit erstmal passée. Beschleunigte Bauverfahren müssen nach derzeitiger Rechtslage in die deutlich zeit- und kostenintensiveren Regelverfahren überführt werden. Das Urteil gilt rückwirkend, daher sind auch bereits bebaute Gebiete betroffen. Wäre Scheckert-Lausrain schon fertig, hätte es also auch nichts genützt. Man habe laut Verwaltungsleiter Marcel Holstein quasi Glück im Unglück, dass das Baugebiet noch in der Planungsphase steckt: Eine rückwirkende Nichtigkeitserklärung für eine fertiggestellte Wohnbebauung "wäre das Worst Case Szenario gewesen." Margetshöchheim steht mit dem Problem des nun ungültigen Bauleitverfahrens nicht alleine da, alleine im Landkreis sind weitere fünf Gemeinden sind betroffen. Wie es weitergeht, steht noch in den Sternen; eigentlich müsste das Bauleitverfahren ins Regelverfahren überführt werden, in dem alle durch das beschleunigte Bauen entfallenen Verfahrensschritte nachgeholt werden müssten. Dazu würde etwa eine Änderung im Flächennutzungsplan gehören oder eine tiefergehende Umweltprüfung samt umfangreicher Gutachten. Für Scheckert-Lausrain wurden Umweltprüfungen durchgeführt und Ausgleichsmaßnahmen festgelegt, durch das beschleunigte Bauverfahren allerdings in geringerem Umfang, als es im Regelverfahren der Fall wäre. Weil derzeit niemand weiß, ob und wie der Bundesgesetzgeber seinen juristischen Murks nachbessern wird, will die Gemeinde zunächst abwarten und sich mit den Fachbehörden über das weitere Vorgehen abstimmen (Landratsamt, Bayerischer Gemeindetag und andere). Vom zuständigen Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen gibt es bis dato keine Reaktion auf das Urteil. Zum Zeitpunkt der Gemeinderatssitzung war die Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht veröffentlicht, inzwischen hat das Gericht diese bekanntgegeben (nachzulesen auf der Homepage des Bundesverwaltungsgerichts unter https://www.bverwg.de/180723U4CN3.22.0). Welche Konsequenzen und welche Handlungsempfehlungen für die betroffenen Städte und Gemeinden aus dem Urteil folgen werden, bleibt abzuwarten.
Mögliche Kostensteigerungen bereiten dem Gemeinderat Sorge
Müsste das Bauleitverfahren für Scheckert-Lausrain in ein Regelverfahren überführt werden, wären zahlreiche zusätzliche Verfahrensschritte nötig, die beim beschleunigten Bauen weggefallen sind. Konkret hieße das: "Wir müssten wieder von vorne anfangen", fasste Verwaltungschef Holstein zusammen. Dies hätte spürbare Auswirkungen auf die Gemeinde und die Bauherren: "Es würde sicher einiges an Zeit und an Geld kosten", sagte der Bürgermeister. Dass sich dadurch mehrere Tausend Euro aufsummieren dürften, gilt als wahrscheinlich; Konkretere Aussagen über den Zeit- und Kostenrahmen eines neuen Bauleitverfahrens ließen sich derzeit aber noch nicht treffen und seien "spekulativ", so Brohm: "Wir sind mitten in der Auslegung und müssen abwarten, was die Klage bedeutet". Gemeinderätin Daniela Kircher von der SPD/UB-Fraktion bereitete die mögliche Überführung in ein Regelverfahren Bauchschmerzen, weil bis dahin "gut eineinhalb Jahre ins Land gehen" könnten, was angesichts der steigenden Zinsen und Baukosten für die Bauherren zum Problem werden könnte. Auf Nachfrage berichtet Bürgermeister Brohm, dass sich der Erschließungspreis in Scheckert-Lausrain auf bis zu 420 Euro pro Quadratmeter summieren könnte, was im Vergleich zum Baugebiet Birkäcker fast einer Verdoppelung gleichkäme. Brohm sieht das mit Sorge, denn "sozialer Wohnungsbau ist auch, dass sich jemand mit mittlerem Einkommen noch sein Häuschen leisten kann". Die Gemeinde will 30% des Baugebiets für sozialen Wohnungsbau auf Grundlage des gemeindlichen Ansiedlungsmodells vorhalten; überbordende Erschließungskosten würden dieses Ziel konterkarieren. Wir halten Sie auf dem Laufenden.
Die Planungen für Scheckert-Lausrain waren schon weit vorangeschritten
Mit den Flächen am Scheckert-Lausrain hat Margetshöchheim erstmals seit Jahrzehnten ein größeres Baugebiet ausgewiesen. Das Areal soll nicht 08/15 bebaut werden, sondern mit ökologischer und sozialer Komponente. In etlichen Sitzungen und Workshops erarbeiteten die GemeinderätInnen in den vergangenen Jahren verschiedene Aspekte - von der Anzahl und Art der Gebäude über die Verkehrserschließung bis hin zur Wasser- und Energienutzung. Aus den Vorschlägen fertigte das Planungsbüro Haines Leger einen städtebaulichen Entwurf, der seit Oktober 2021 als Grundlage für weitere Beschlüsse dient.
Das Baugebiet Scheckert-Lausrain wurde damals geringfügig um kleine Teilflächen von bestehenden Grundstücken erweitert und umfasst nun knapp 20.000 qm. Davon gehören der Gemeinde durch Zukäufe bzw. Umlegung rund 50%, die andere Hälfte wird von 12 PrivateigentümerInnen bebaut. Analog zum Baugebiet Birkäcker sollen Bauplätze am Scheckert-Lausrain im "Ansiedlungsmodell" anhand eines Punktesystems vergünstigt vergeben werden - Kriterien sind z.B. Ortsansässigkeit, Einkommensgrenzen und ehrenamtliches Engagement. Insgesamt sollen im neuen Baugebiet circa 100 Wohneinheiten entstehen, verteilt auf Einfamilienhäuser, Doppelhaushälften und Mehrfamilienhäuser. Auch ein Mehrgenerationenhaus ist von einem Eigentümer geplant. Im Sinne der Nachverdichtung können je nach Lage der Grundstücke bis zu drei Vollgeschosse errichtet werden. Bei einer durchschnittlichen Belegung mit 2,5 bis 3 Personen pro Wohneinheit entspricht das rund 300 Einwohnern. Zudem plant auch der Eigentümer des angrenzenden Götz-Areals zahlreiche neue Wohneinheiten. Am Ende dürften mehr als 10% aller MargetshöchheimerInnen im Scheckert-Lausrain wohnen. Für die Aufteilung des Areals hat die Gemeinde mit den GrundstückseigentümerInnen ein freiwilliges Umlageverfahren initiiert, um das langwierige gesetzliche Verfahren abzukürzen; dieses lief allerdings nicht so reibungslos wie erhofft, da die Vorstellungen etlicher Privatleute von dem städtebaulichen Konzept der Gemeinde abwichen. Vorsorglich beschloss der Gemeinderat kürzlich, dass neue Baugebiete in Zukunft nur ausgewiesen werden können, wenn die Flächen im alleinigen Eigentum der Gemeinde liegen.
Im Neubaugebiet Scheckert-Lausrain wurden bereits Details zur Verkehrsplanung und zum Immissionsschutz beschlossen. Im Wohngebiet favorisieren die GemeinderätInnen eine ringförmige Straße, die durch zwei kreuzende Wege ergänzt wird. Dabei soll ein von Bäumen gesäumter wassergebundener Weg von der Einfahrt ins Wohngebiet bis zum grünen Ortsrand die "Sichtachse" prägen. Für eine gute Anbindung an das Ärztehaus sowie den Wiesenweg sollen neue Treppen und Fußwege sorgen. Parkmöglichkeiten sollen durch Tiefgaragen und Stellplätze entstehen, zudem könnten an der Straße "Am Scheckert" eventuell Parkplätze und Ladesäulen geschaffen werden. Von großer Bedeutung wird die Anbindung des Wohngebiets an die Staatsstraße sein. Weil mit mehr Verkehrsaufkommen zu rechnen ist, wird die Kreuzung von der St 2300 nach Margetshöchheim Süd komplett neu geplant, um eine direkte Zufahrt zu schaffen. Mögliche Varianten wären ein Kreisverkehr (der aufgrund seiner Dimensionen eher unwahrscheinlich ist), eine Linksabbiegespur mit Unterführung für Fußgänger oder eine Linksabbiegespur mit Ampel. Für Fußgänger und Radfahrer ist eine Unterführung von der (dann barrierefreien) Bushaltestelle Bachwiese zum Mainradweg angedacht. Wie die Zufahrt zur bzw. von der St 2300 realisiert werden kann, entscheidet letztlich das Straßenbauamt. Diesbezügliche Gespräche laufen.
Ein besonderes Augenmerk liegt beim neuen Baugebiet auf dem Thema Ökologie. Der Gemeinderat hatte sich explizit gewünscht, dass umweltbezogene Aspekte bei der Planung von Park- und Verkehrsflächen, der Wohnraumstruktur, der Entwässerung und Energiegewinnung berücksichtigt werden. Auf dem Planungsgebiet sind 48 Bäume kartiert, diese sollen größtenteils erhalten und durch Nachpflanzungen ergänzt werden. An der Einfahrt zum Wohngebiet sollen das "Baumtor" und eine als Biotop geschützte Hecke erhalten bleiben. Der jetzige Feldweg in Richtung Norden soll als wassergebundener Weg die "Sichtachse" in die Natur beibehalten. Zwischen den Gebäuden sind zahlreiche Grünflächen, teils mit öffentlicher bzw. "halböffentlicher" Nutzung vorgesehen. Teilweise begrünte Fassaden und Dächer sollen die Artenvielfalt und ein ausgeglichenes Mikroklima fördern. Regenwasser soll über Rigolen versickert und gesammelt werden, auch ein naturnaher Regenwasserteich am südöstlichen Rand des Wohngebiets ist vorgesehen. Eine großflächige Regenwasserversickerung ist in dem Baugebiet allerdings nicht möglich, weil der felsige Untergrund kaum Regenwasser aufnehmen kann; das ergab ein Gutachten. Das angestrebte "Schwammstadt-Konzept" lässt sich daher nicht realisieren. Des Weiteren gab es bereits Planungen zur Nutzung regenerativer Energien wie Photovoltaik. Ziel war, dass es 2023 einen rechtsverbindlichen Bebauungsplan für das Wohngebiet Scheckert-Lausrain gibt. Wäre das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht dazwischengekommen, hätte das wahrscheinlich geklappt.