Dramatischer Ernterückgang wegen Spätfrost: die Streuobst-Genossenschaft sucht nach zukunftsfähigen Lösungen

Die Streuobst-Genossenschaft feiert heuer ihr 10-jähriges Bestehen. Im Jubiläumsjahr gibt es vorerst allerdings keinen Grund zum Feiern: die Spätfröste im Frühjahr verursachten teilweise einen Totalausfall, insgesamt bricht die Ernte um rund 80 % ein. Die Main-Streuobst-Bienen eG sucht nach zukunftsfähigen Lösungen, um dem Klimawandel zu begegnen.

"Klimawandel" klingt abstrakt, hat uns aber schon längst im Alltag eingeholt. Nach neuesten Daten des EU-Klimadienstes Copernicus ist Europa von allen Kontinenten der Welt am stärksten vom Klimawandel betroffen. Während die durchschnittliche Jahrestemperatur 2023 im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter erstmals global um 1,5 °C gestiegen ist und damit die Marke des Pariser Klimaabkommens gerissen hat, verzeichnet der europäische Kontinent bereits einen Temperaturanstieg von 2,2 °C. Und obwohl sich der Klimawandel nirgendwo sonst auf der Welt so stark bemerkbar macht (abgesehen vom Nordpol mit einer Erwärmung von + 3 °C), ist der Kontinent laut europäischer Umweltbehörde völlig unzureichend auf die anstehenden Herausforderungen vorbereitet. Vor allem die Landwirtschaft hat mit den Folgen der Klimaveränderung zu kämpfen, und das nicht nur in Trockenperioden - durch den Temperaturanstieg nehmen nämlich nicht nur Dürren, Hitzewellen, Starkregen und Stürme zu, sondern auch Spätfrostereignisse. Das bekommt gerade die Streuobst-Genossenschaft zu spüren, denn der Frost vom Frühjahr lässt die Obsternte heuer dramatisch einbrechen.

Die Erntemenge schrumpft heuer in ungekanntem Ausmaß

Im vergangenen Jahr verursachten Hitzeperioden bereits enorme Erneteinbußen um bis zu 50 % und überdurchschnittlich viel Astbruch, heuer setzte den Bäumen die Kälte zu. Die warmen Tage im Frühling regten die Obstbäume zu einer frühen Blüte an, doch die anschließende tagelange Frostperiode hat diesen den Garaus gemacht. Die Blüten sind abgefroren oder, falls sie die Kälte überstanden haben, kaum von Insekten bestäubt worden. Für den Obstbau sind die Folgen dramatisch: "Wir werden dieses Jahr nur etwa 20 % einer normalen Ernte haben", berichtet der Geschäftsführer der Main-Streuobst-Bienen eG, Krischan Cords. In der Margetshöchheimer Sandflur ist die Lage sogar noch drastischer: hier gebe es wohl einen Totalausfall. Auffällig sei dieses Jahr, dass nicht nur bestimmte Standorte betroffen sind, sondern flächendeckend auch in anderen Landkreisen so gut wie kein Obst an den Bäumen hängt, sagt Cords. Die 2014 gegründete Genossenschaft mit Sitz in Margetshöchheim arbeitet ökologisch nach Bioland-Richtlinien und gehört zu den größten Streuobst-Produzenten in Bayern; sie bewirtschaftet über 40 Hektar Streuobstwiesen in den drei Landkreisen Kitzingen, Main-Spessart und Würzburg. Etwa die Hälfte der eigenen Flächen, gut 20 Hektar, liegen in Margetshöchheim. Hier werden hauptsächlich Äpfel, Birnen und Kirschen angebaut, auch seltene historische Sorten. Margetshöchheim ist eines der wenigen fränkischen Dörfer, das noch ausgedehnte Streuobstwiesen besitzt. "Zusammen mit Erlabrunn und Leinach haben wir hier ein sehr großes zusammenhängendes Streuobst-Gebiet", erklärt Cords. Darüber hinaus bezieht die Genossenschaft Streuobst von regionalen, Bioland-zertifizierten Mitgliedern. Insgesamt sind es in den drei Landkreisen rund 120 Hektar Streuobstwiesen, die von und für die Main-Streuobst-Bienen eG bewirtschaftet werden. In einem durchschnittlichen Erntejahr kommen 100-150 Tonnen Streuobst zusammen - heuer dürften es nach Cords' Schätzungen höchstens 30 Tonnen werden.

Vielleicht könnten Gartenbauvereine und andere Akteure noch etwas Streuobst liefern, so die Hoffnung

Durch die dramatischen Ernteeinbußen muss die Genossenschaft nun ihre Absatzmärkte einschränken; die Lieferung an einen neuen Abnehmer von Bio-Apfelmus wurde bereits gecancelt, erklärte Krischan Cords bei der Generalversammlung letzte Woche. Die Liefermengen für große Abnehmer wie Völkl oder Kaufland mussten angepasst werden. Eigene Produkte stellt die Streuobst-Genossenschaft in regionalen Mostereien und Betrieben her. Ob die Ernte heuer ausreicht, um die schwindenden Lagerbestände für nächstes Jahr aufzufüllen, ist fraglich. "Wir haben keine Kirschen, keine Zwetschgen, wenig Äpfel. So sieht es leider aus", erklärte Geschäftsführer Cords die schwierige Situation in diesem Jahr. Die Genossenschaft will nun Kontakt zur Streuobstberaterin am Landratsamt, zu den regionalen Obst- und Gartenbauvereinen und anderen Akteuren aufnehmen in der Hoffnung, dass sie noch Obst von anderen Streuobst-Bewirtschaftern bekommen kann. Die dafür nötigen Zertifizierungen seien auch kurzfristig und auch für private Streuobstflächen realisierbar.

 

Der Spätfrost hat dieses Jahr ungeheure Schäden angerichtet, nicht nur bei diesem Walnussbaum. Ist die Blüte abgefroren, kann sie nicht bestäubt werden und sich nicht zur Frucht entwickeln. (Foto: Archiv Tina Göpfert)

Obstdiebstahl wird zunehmend zum Problem

Ein großes Problem stelle zunehmend auch der Diebstahl in den Streuobstwiesen dar; teilweise würden Leute in den gut zugänglichen Gebieten sogar mit dem Auto anfahren und alles abschütteln, berichteten mehrere Genossenschaftsmitglieder. Das werde häufig auch auf sogenannten Probierwiesen zum Problem, wo die Leute nicht von den gekennzeichneten Bäumen ernten, sondern ein paar Meter weiter von den gut gepflegten Bäumen mit den schönsten Früchten klauen. Cords schätzt die Verluste durch den Obstdiebstahl auf mehrere Tonnen pro Jahr und hofft darauf, dass ein konsequentes Vorgehen und die Sensibilisierung der Bevölkerung hier Abhilfe schaffen. Schließlich kann die Streuobst-Genossenschaft als landwirtschaftlicher Bio-Betrieb die aufwändige Bewirtschaftung der traditionellen Streuobstwiesen nur dann gewährleisten, wenn sie durch den Verkauf der Ware damit auch finanziell über die Runden kommt.

Gute und stabile Entwicklung

Bisher gelingt das ganz gut. Laut dem letzten Prüfbericht zeichnet sich die Main-Streuobst-Bienen eG durch eine gute Entwicklung, eine stabile wirtschaftliche Lage und satzungskonforme Arbeit aus. Das berichtete in der Versammlung Bürgermeister Waldemar Brohm, der die Genossenschaft 2014 mitgründete und dem Aufsichtsrat vorsteht. Die Genossenschaft ist auf über 150 Mitglieder angewachsen. Der neu gewählte Vorstand und Aufsichtsrat ist auch mit dem wirtschaftlichen Erfolg zufrieden; die finanzielle Lage ist zwar nicht rosig, geht aber stabil bergauf. Heuer verfügt die Genossenschaft über eine gute Liquidität für neue Investitionen; den Bilanzgewinn konnte sie auf knapp 40.000 Euro steigern, der Jahresüberschuss beträgt rund 3.800 Euro. Geschäftsführer Krischan Cords will die Genossenschaft in den kommenden Jahren "in jede Richtung" weiter ausbauen und personell verstärken. Zudem sollen für alle Interessierten zusätzliche Baumschnittkurse angeboten werden; die Pflege der Streuobstbestände erfordert Fachwissen, und in den nächsten Jahren werden zertifizierte Streuobst-Baumpfleger besonders in Bayern sehr gefragt sein, denn die Bayerische Staatsregierung fördert diese traditionelle, nachhaltige und ökologische Bewirtschaftung mit dem sogenannten "Streuobst-Pakt". Martin Degenbeck vom Aufsichtsrat meinte, der bayerische Streuobst-Pakt sei "eine Riesenchance" für die Genossenschaft, weil viele Fördergelder fließen, weil das Thema präsent ist und sowohl Umweltminister Glauber als auch Ministerpräsident Söder voll hinter dem Thema stünden.

 

Naturschutz und Wertschöpfung in einem: Streuobstwiesen gehören zu den artenreichsten Biotopen Mitteleuropas, sie beherbergen rund 5.000 Tier- und Pflanzenarten. Gleichzeitig liefern sie gesunde, ökologische Nahrungsmittel und haben Erholungswert. (Foto: Tina Göpfert)

 

Die Genossenschaft will sich in allen Bereichen fit für die Zukunft machen

Die Main-Streuobst-Bienen eG sieht gute Chancen, sich in allen Bereichen fit für die Zukunft machen. Um sich für die Herausforderungen des Klimawandels zu wappnen, sucht die Genossenschaft nun nach Obstsorten, die später blühen und so dem Spätfrost standhalten, aber auch Hitze und Trockenheit vertragen können. Bisher existiert diese eierlegende Wollmilchsau allerdings nicht - weder im Obstbau noch sonst in der Landwirtschaft. Martin Degenbeck, der an der Veitshöchheimer Landesanstalt für Wein und Gartenbau (LWG) an geeigneten Arten forscht, erklärte in der Versammlung, dass es in den nächsten Jahren klimabedingt sowohl eine Artenverschiebung als auch eine Standortverschiebung geben wird: "Den Apfel wird man auf Südlagen nicht mehr anbauen können", sagte er. In der Margetshöchheimer Sandflur kommen Neupflanzungen schon seit einigen Jahren nicht mehr ohne Bewässerung aus. Außerdem müssen die Bäume gut extensiv zu pflegen und das Obst gut zu vermarkten sein.

Um sich wirtschaftlich gut weiterzuentwickeln, setzt die Streuobst-Genossenschaft auf neue Produkte, etwa Cider bzw. Secco aus Äpfeln und Birnen, der in Kooperation mit der LWG entwickelt wird und bereits sehr gut ankommt. Für Institutionen und Tagungen sollen Säfte künftig in 0,2 Liter Flaschen angeboten werden. In der Sandflur wird eine Probierwiese angelegt und mit Fördergeldern vom Regionalbudget der ILE wurden Infotafeln aufgestellt, die die Bevölkerung auf die Besonderheiten von Streuobst aufmersam machen. Streuobst ist in vielerlei Hinsicht etwas Besonders, denn es vereint auf einzigartige Weise Umweltschutz und Wertschöpfung. Gleichzeitig haben Streuobstwiesen einen unschätzbaren Wert nicht nur für die regionale Erzeugung von ökologischen Lebensmitteln und den Erhalt von historischen Sorten sondern auch für den Klimaschutz, den Wasserschutz und die Biodiversität. In Europa gehören Streuobstwiesen zu den artenreichsten Biotopen überhaupt, schätzungsweise 5.000 Tier- und Pflanzenarten finden in dem strukturreichen Lebensraum ein Zuhause. Die Genossenschaft will unter Anderem im Rahmen des Streuobst-Paktes größere Projekte starten, beispielsweise Kartierungen und Pflegepläne. Zudem soll ein Fokus auf der erfolgreichen Vermarktung der Streuobst-Produkte liegen.

Im Herbst gibt es ein Streuobst-Fest zum 10-jährigen Jubiläum

Stolz kann die Main-Streuobst-Bienen eG heuer auf ihr 10-jähriges Bestehen zurückblicken. Der Bürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende Waldemar Brohm gehörte 2014 zu den Gründern der Streuobst-Genossenschaft. Ziel war damals, die stark vernachlässigten Obstwiesen in Margetshöchheim wieder zu neuem Leben zu erwecken. Heute ist auch in der Bevölkerung das Bewußtsein dafür gewachsen, wie wertvoll ökologisch erzeugte, regionale Lebensmittel sind und welchen Erholungswert die artenreichen Wiesen vor der eigenen Haustür haben. Im September will die Streuobst-Genossenschaft ihr 10-jähriges Jubiläum an der Margarethenhalle mit einem Fest feiern. Wir halten Sie auf dem Laufenden.

 

Informationen über die Streuobst-Genossenschaft, Schnittkurse oder eine Mitgliedschaft finden Sie auf der Homapage unter https://www.streuobst-bienen.de/start.html

Informationen und den Onlineshop mit den Streuobst-Produkten der MainSchmecker finden Sie unter https://main-schmecker.de/

 

Einen Bericht über den Bayerischen Streuobst-Pakt finden Sie in einem älteren Blog-Bericht unter https://www.margetshoechheim-blog.de/natur-umwelt/229-1-million-neue-b%C3%A4ume-staatsregierung-beschlie%C3%9Ft-streuobst-pakt?highlight=WyJwYWt0Il0=

 

Der neu gewählte geschäftsführende Vorstand und Aufsichtsrat will die Streuobst-Genossenschaft fit für die Zukunft machen (von links): Aufsichtsrat Moritz Stüber, Vorstand Lothar Seufert, Aufsichtsrat Hubert Marquardt, Aufsichtsratsvorsitzender Waldemar Brohm, stv. Aufsichtsratsvorsitzender Martin Degenbeck, Vorstand Jonas Braun, Geschäftsführer Krischan Cords. (Foto: Tina Göpfert)

 

Unter der Dachmarke "MainSchmecker" vermarktet die Streuobst-Genossenschaft ihr breites Sortiment im Onlineshop, in Geschäften, auf Märkten und in der Margetshöchheimer Obsthalle. (Foto: Tina Göpfert)