Es sind dramatische Prognosen, die der renommierte Klimaforscher Prof. Dr. Heiko Paeth bei seinem Vortrag in der Margarethenhalle für Unterfranken zeichnete. Drei Mal so viele Hitzewellen und extreme Trockenheit drohen der Region, die jetzt schon ein "Hotspot des Klimawandels" ist und sich bereits signifikant erwärmt hat. Man solle alles tun, um den Klimawandel noch zu bremsen, denn "jedes Zehntelgrad zählt".
Professor Dr. Heiko Paeth gehört zu den renommiertesten Wissenschaftlern zum Thema Klimawandel und Klimafolgenforschung im deutschsprachigen Raum; er forscht am Geologischen Zentrum der Uni Würzburg und entwickelt unter Anderem Big Data-basierte Klimamodelle. Im November hielt Paeth auf Einladung der Margetshöchheimer Mitte (MM) einen seiner hochkarätigen und seltenen Vorträge in der Margarethenhalle. Über 200 interessierte BürgerInnen waren gekommen, um etwas über "die Herausforderungen des Klimawandels in Unterfranken", so der Titel, zu erfahren.
Erwärmungstrend global: 1,1°. Erwärmungstrend in Franken: 1,7°
Paeth forscht bereits seit den 1990er Jahren über das "unfassbar große und komplexe" Klimasystem des Planeten. Heute seien selbst die Wissenschaftler überrascht, "wie schnell uns manche Phänomene ereilt haben" und dass viele frühere Prognosen zu optimistisch ausfielen, berichtete der Klimaforscher. In seinem Vortrag spannte Paeth einen Bogen vom globalen Klimawandel über die Erkenntnisse für Deutschland und Bayern bis hin zu der Frage, welche Folgen der Klimawandel für unsere Region hat. Denn auch wenn wir beim Wort Klimawandel an Tropenstürme oder untergehende Pazifikinseln denken mögen, ist er uns näher als vielen anderen: Unterfranken gehört zu den weltweiten "Hotspots des Klimawandels". Während sich das Klima nach aktuellen Messungen des Weltklimarates IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter global um rund 1,1° erwärmt hat, sind es in Bayern seit 1920 schon 1,4° und in Unterfranken sogar 1,7°, berichtete Paeth. Damit wäre das Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015, die weltweite Erwärmung auf 1,5° zu begrenzen, für Unterfranken also jetzt schon passé. Professor Paeth stellte allerdings auch klar, dass das propagierte 1,5°-Ziel aus wissenschaftlicher Sicht sowieso nicht mehr zu erreichen ist. Weil es aber bisher kaum verstandene Beschleunigungen bei der Erderwärmung gebe und die Forschung nicht wisse, ob seit einigen Jahren möglicherweise schon unumkehrbare Kipppunkte im System des Planeten erreicht wurden, und weil die Gefahr von Kipppunkten mit jedem noch so kleinen Temperaturanstieg steigt, mahnte er: "Es wird auf jedes Zehntelgrad ankommen!".
Paeth: "Hitzewellen und Tropennächte sind ein neues Phänomen"
Ein Tornado in Kürnach im Jahr 2017, die Überschwemmungen im Ahrtal, die Waldbrände in Brandenburg oder die außergewöhnliche Trockenheit in Franken zeigten deutlich, dass der Klimawandel auch bei uns in den mittleren Breiten angekommen ist.
"Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, sieht immer mehr Indikatoren für das, was Klimatologen seit 30 Jahren prognostizieren", meinte der Klimaforscher. Messungen belegen, dass die Jahre ab 2000 die wärmsten des Referenzzeitraumes waren. "Es kann schon Verdacht erregen, wenn jedes Jahr wieder das wärmste war", scherzte er. In Unterfranken ist es viel zu warm und viel zu trocken. Heuer zeigt sich der Erwärmungstrend deutlich: bis auf den September war in diesem Jahr jeder einzelne Monat um 3-5° wärmer als im langjährigen Mittel, erläuterte der Wissenschaftler. Damit einher geht eine anhaltende Trockenheit, die in Unterfranken schon deutliche Spuren hinterlässt, etwa im Streit um die Wasserentnahmen in der Bergtheimer Mulde. Dort sei der Grundwasserpegel durch die Entnahmen um zwei Meter abgesunken. Auch die Grundwasserneubildung gibt Anlass zur Sorge: das letzte Jahr, dass die Grundwasserreserven dort normale Pegel hatten, war nach Aussage des Forschers im Jahr 2002. In Paeths Messungen für Würzburg zeigt sich, dass die Niederschlagsmengen seit 2015 in Wellen nach unten gehen; im August diesen Jahres wurde mit -600 Litern/Quadratmeter ein neuer Tiefststand erreicht, das heißt es fehlt netto mehr als ein ganzes Jahresmittel an Niederschlag. "Das ist einfach weg. Selbst, wenn es mal viel regnet, bleibt dieses Defizit da", erklärte Paeth.
Weitere Forschungsergebnisse zeigen, wie sich das Klima hier bereits verändert hat, etwa anhand der sommerlichen Hitzewellen und Tropennächte, die beide ein junges Phänomen sind: "Eine Generation früher gab es gar keine Tropennächte", machte Paeth deutlich. Das harmlos wirkende, klangvolle Wort bezeichnet eine Nacht, deren Temperatur nicht mehr unter 20° fällt. Tropennächte seien für den menschlichen Organismus wegen der Stoffwechselaktivität aber noch gefährlicher als Hitzetage und verursachten mehr Todesfälle, erläuterte der Wissenschaftler. Messungen in der Stadt Würzburg zeigen außerdem, dass Tropennächte dort sogar 25° warm sind, also 5° wärmer als im Umland. Ebenso nehmen die Hitzewellen zu, die es vor 1990 gar nicht gab; das heißt, es hat mindestens vier Tage in Folge Temperaturen von 5° über dem langjährigen Durchschnitt. In Süddeutschland gebe es davon 7-10 pro Jahr. Merklich zugenommen haben außerdem die Hitzetage mit Temperaturen von über 30°. Derzeit messen die Wissenschaftler in Unterfranken 6-7 solcher Hitzetage pro Jahr. Besonders gefährdet sind Kessellagen wie Würzburg oder die deutsche Hitze-Rekordstadt Kitzingen. So werden besonders verdichtete Städte mit wenig Grün zu regelrechten "Wärmeinseln". In der Stadt Würzburg ist es im Sommer jetzt schon bis zu 8° heißer als im Umland, so Paeth über die Ergebnisse der Würzburger Klimamessstationen; der Wert habe selbst die Wissenschaftler überrascht, denn Berlin sei beispielsweise "nur" 3° wärmer als das Umland. Gerade auf Deutschland, das zu den am stärksten urbanisierten Flächenstaaten der Welt zähle, kämen in den Städten große Herausforderungen zu.
"Ich male eine Zukunft in der Hoffnung, dass wir sie verhindern", sagt der Wissenschaftler
Dass die Belastung in Unterfranken noch deutlich schlimmer werden kann, zeigten die wissenschaftlichen Modellrechnungen des Klimaforschers. "Der Klimawandel wird uns immer weher tun", mahnte er. Wir hätten das Privileg, dass uns der Klimawandel noch nicht so schmerzt wie die künftigen Generationen. Wie weh es am Ende tut, wird davon abhängen, wie stark die Menschheit die Treibhausgasemissionen weltweit reduziert. Dementsprechend rechnen Forscher wie Prof. Paeth in ihren Modellen verschiedene Prognosen aus, die abhängig von den Klimaschutzmaßnahmen auf unterschiedlichen Mengen an Treibhausgasen beruhen - sogenannte RCP-Szenarien ("Representative Concentration Pathway" = Repräsentative Prognose für Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre). Der schlimmste Fall, von dem Paeth hofft, dass wir ihn mit aller Kraft verhindern mögen: Wenn wir einfach weitermachen wie bisher ("Business as usual", oder wissenschaftlich RCP85-Szenario), wird sich die Anzahl der Hitzetage in Unterfranken in zwei Generationen verfünffachen, das heißt um 2050 werden die BürgerInnen 30-35 Hitzetage im Jahr aushalten müssen. "Die Hitzebelastung wird Lebensrealität", sagte der Forscher. Dabei sei sie mit durchschnittlich 9.000 Todesfällen schon heute die tödlichste Naturgefahr in Europa, vor Allem für sehr junge und sehr alte Menschen. In Würzburg würden die Tropennächte bei diesem Szenario nicht mehr unter 30° abkühlen. "Was tun wir, wenn da in zwei Generationen keiner mehr wohnen kann?", fragte Paeth. Nach derselben RCP85-Berechnung würde sich die Jahrestemperatur in Unterfranken im Jahr 2100 um ganze 4,4° erwärmt haben. Bei einer Halbierung der Treibhausgasemissionen (RCP45-Szenario) würde die Erwärmung bis zum Jahr 2100 noch bei 2,7° liegen. Die Folgen beider Szenarien wären dramatische Veränderungen im ganzen Klima- und Ökosystem und würden den Menschen enorme Anpassungen an das Leben, Wohnen und die Landwirtschaft abverlangen. Nicht zuletzt nehmen mit steigenden Jahrestemperaturen auch die Naturkatastrophen durch Wetterextreme zu.
LandwirtInnen müssen sich anpassen
Dürre, Hagel, Starkregen, Spätfrost - all diese Wetterphänomene treten durch den Klimawandel gehäuft auf und bringen enorme Probleme für die Landwirtschaft mit sich, selbst in unserer privilegierten Klimazone. Extremwetter nehmen messbar zu. WissenschaftlerInnen konnten nachweisen, dass sich der Jetstream (eine Art Windband um die Nordhalbkugel) abgeschwächt hat, wodurch sich Wellenmuster in der Atmosphäre verlangsamen, was wiederum dazu führt, dass lokale Wetterphänomene wie beispielsweise Trockenheit länger andauern. Seit 2015 gebe es dadurch eine deutliche Zunahme von Hochdruckbrücken, was auf dem europäischen Kontinent im Sommer anhaltende Trockenphasen und im Winter Dauerfrostperioden verursacht, erklärte Paeth. Außerdem gebe es bei Hochdrucklagen mehr Wind, weil die Windgeschwindigkeit aus physikalischen Gründen steigt.
Durch die steigenden Temperaturen hat sich bei Pflanzen bereits die Phänologie verändert, das heißt sie treiben früher, blühen früher und werfen später Laub ab. Spätfröste seien deshalb eine Bedrohung für alle möglichen landwirtschaftlichen Kulturen einschließlich Wald, erklärte der Professor. Je nach RCP-Szenario werden auch die Spätfrostereignisse durch den Klimawandel deutlich ansteigen. Durch die thermische Verschiebung können einige Kulturen in Zukunft wohl nicht mehr angebaut werden, beispielsweise manche Weißweine: "Die Klimawandel-Perspektive ist, dass wir hier nur noch Rotwein haben werden, außer in den Mittelgebirgen", berichtete er. Anpassungsstrategien in der Landwirtschaft sind unumgänglich; in Unterfranken beweisen etwa die WinzerInnen ihr Anpassungspotential schon seit einigen Jahren, indem sie erfolgreich auf Sorten wie Merlot umgestiegen sind. Am anderen Ende der Skala drohen Dürren; heuer hat die europäische Landwirtschaft die anhaltende Trockenheit schon deutlich zu spüren bekommen. "Unsere Landnutzung beruht darauf, dass wir gleichmäßig Wasser zur Verfügung haben, doch aus dem Kreislauf sind wir rausgekommen", berichtete Paeth. Im Sommer komme Niederschlag zunehmend als Starkregen runter, der durch die ausgetrockneten Böden aber nicht aufgenommen werden kann. Die Klimamodelle sagen voraus, dass Trockenphasen länger andauern und Niederschläge stärker ausfallen werden. Eine Lösung liege darin, Regenwasser im Winter für den Sommer zu sammeln, wie es jetzt beispielsweise die Volkacher WinzerInnen mit Bassins in den Weinbergen praktizieren. Die Veränderungen bei Temperatur und Niederschlag erfordern zudem Anpassungen in Bezug auf die angebauten Feldfrüchte - bei Sommergetreide wie Hafer, Silomais und Sommergerste gehen die Erträge bereits um bis zu 50% zurück, wogegen die Erträge bei Wintergetreide wie Winterraps teils über 50% zunehmen.
Städte und Gemeinden müssen Strategien entwickeln
Sämtliche Wetterphänomene werden auch die Städte und Gemeinden dazu zwingen, sich an den Klimawandel anzupassen. Kommunale Maßnahmen könnten zwar den globalen Klimawandel nicht aufhalten, aber das lokale Klima positiv beeinflussen. "Gemeinden, die es früher tun, werden in späteren Jahrzehnten weniger Anpassungsbedarf haben als die, die es erstmal laufen lassen", sagte der Wissenschaftler. Um Wärmeinseln zu verhindern, sei Begrünung ratsam, denn Bäume könnten die Umgebungstemperatur durch ihre Verdunstung deutlich abkühlen, so Paeth. Allerdings müssten junge Bäume bis zu 30 Jahre lang bewässert werden, was neue Schwierigkeiten mit sich bringen könne. Ein guter Ansatz sei die in Würzburg praktizierte Röhrchenbewässerung. Auch Dach- und Fassadenbegrünungen könnten "tolle Abkühlungseffekte" erzeugen. Zudem sollten die Kommunen dem "exorbitanten Flächenfraß in Bayern" entsagen und möglichst keine Flächen versiegeln; die wissenschaftlichen Prognosemodelle könnten anhand des Versiegelungsgrads bereits genau errechnen, wie sich das Kleinklima verändern wird: "Da können die Veränderungen am Alex in Berlin genau gleich sein wie im Gewerbepark am Ortsrand", so Paeth. Zudem sollten die Gemeinden neben einem Bebauungsplan auch einen Grünflächenplan aufstellen. Enorme Relevanz wird das Wassermanagement haben: "Wir brauchen neben der Energiewende auch eine Wasserwende", machte der Forscher deutlich. Da nicht mehr genug Wasser im System sei, müsse es dringend lokal und saisonal umgeschichtet werden. Wir müssen lernen, das Wasser aus dem Winter zurückzuhalten, weil es im Sommer nicht mehr genug Niederschlag gebe, erklärte er; beispielsweise mit großen Zisternen unter Verkehrsflächen. Versickern statt Versiegeln, lautet die Devise der Zukunft. Nötig ist also "eine kluge Stadtentwicklungspolitik", die den Veränderungen des Klimawandels Rechnung trägt. Paeth verdeutlichte die Zukunft anhand wissenschaftlicher Prognosen: Wenn wir mit dem Klimaschutz so weitermachen wie bisher, wird Köln im Jahr 2100 das Klima von Kalabrien haben, in Nürnberg wird es wie in Bologna.
"Die menschliche Zivilisation kennt keinen Präzedenzfall"
Die vielen dramatischen Forschungsergebnisse, die Paeth bei seinem Vortrag über den Klimawandel vorstellte, ließen viele ZuhörerInnen etwas ratlos und mit einem mulmigen Gefühl zurück. In der anschließenden Fragerunde wollten etliche wissen, wie wir den Klimawandel noch aufhalten könnten. "Wir werden den Klimawandel nicht mehr stoppen", stellte der Forscher klar. Deshalb sei es so wichtig, die Treibhausgase so schnell wie möglich zu reduzieren und die Erderwärmung so weit wie nur möglich zu begrenzen. "Unser globalisiertes Wirtschaftssystem führt uns mit Hochgeschwindigkeit in den Abgrund", mahnte Paeth. Eine Wirtschaftsweise, die alle Folgekosten seit Jahrzehnten auf die Allgemeinheit abwälze. Dass beim Klimaschutz bisher kaum etwas passiert ist, liege an der Lobbypolitik: "Eine vernunftbegabte Spezies würde die Einnahmen aus der Atomkraft nehmen und in den Ausbau erneuerbarer Energien stecken", meinte der Forscher. Anhand einer Grafik zeigte er, dass sich die CO2-Emissionen während des Corona-Lockdowns im März 2020 nur um 18% verringert haben, obwohl gefühlt das ganze Leben stillstand. Der Corona-Effekt ist allerdings immer noch deutlich mehr als das, was durch politische Maßnahmen zustande kam. Die jüngste Klimakonferenz in Ägypten nannte Paeth eine "Peinlichkeit", ein "Fest für fossile Energieträger" und einen Rückschlag für den globalen Klimaschutz. Hoffnung macht ihm die junge Generation, die nicht so stark an der althergebrachten "Wachstumsdoktrin" hänge und andere Konsummuster etabliere. Und dass sich in Politik und Gesellschaft der grundsätzliche Paradigmenwechsel durchgesetzt habe, "dass wir den Wandel vollziehen wollen". Dies sei vor zwei Jahrzehnten trotz der Warnungen der Wissenschaftler noch ganz anders gewesen. Außerdem hofft Paeth darauf, dass die Menschheit die nötigen Entscheidungen beschleunigen wird, wenn "der Klimawandel immer weher tun wird".
Was tun gegen die "Superwarmzeit"?
"Alles, was wir jetzt unterlassen, bürden wir den künftigen Generationen auf", appellierte der Wissenschaftler. Wir müssten schlichtweg alles anders machen als bisher. Der Planet liefere unerschöpfliche saubere Energie, die wir mit den vorhandenen Technologien bereits nutzen könnten. Deutsche machen nur 1% der Weltbevölkerung aus, verursachen aber 2% der weltweiten Treibhausgasemissionen; rechne man zu dieser Statistik der Binnenemissionen aber auch die Emissionen durch Exporte mit ein, gehöre Deutschland zusammen mit den USA und Japan sogar zu den Top 3 der globalen Emittenten, berichtete Paeth. CO2-Zertifikate sind für den Klimaforscher keine Lösung, denn dadurch werde kein einziges CO2-Molekül in der Atmosphäre eingespart und zudem würden sie die Problematik bloß in andere Regionen verlagern: "Zertifikate sind nur ein Outsourcing von Verantwortung. Wenn wir es wirklich ernst meinen, müssen wir HIER dekarbonisieren".
Jede und jeder Einzelne sei gefragt, seine CO2-Emissionen zu verringern. Denn in der Masse würden die privaten Konsumentscheidungen der BürgerInnen eine ganze Menge ausmachen.