Margetshöchheim ist eines der wenigen fränkischen Dörfer, das noch ausgedehnte Streuobstwiesen besitzt - eine Besonderheit, denn diese schonende und historische Form der Obsterzeugung ist bedroht. Streuobstwiesen gehören zu den am stärksten gefährdeten Biotopen, dabei sind sie außergewöhnlich artenreich: die strukturreichen Pflanzungen sind Lebensraum für Tausende oft seltene Tier- und Pflanzenarten.
Und auch dem Menschen bieten Streuobstwiesen einen besonderen Kultur- und Erholungsraum. Weil dieser Natur- und Kulturschatz ein so wertvolles Gut ist, das es zu bewahren gilt, erklärte die Unesco den Streuobstanbau vor wenigen Wochen zum immateriellen Weltkulturerbe (https://www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-deutschland/streuobstanbau). Krischan Cords, Geschäftsführer der Margetshöchheimer Streuobst-Genossenschaft, freut diese Würdigung sehr. Seit der Gründung der Main-Streuobst-Bienen eG im Jahr 2014 erfährt der historisch gewachsene Streuobstanbau in Margetshöchheim wieder mehr Wertschätzung. "Da ist aber noch Luft nach oben", sagt der gelernte Gartenbauingenieur.
Der Lebensraum Streuobstwiese nützt Tieren und Menschen
Was macht den Streuobstanbau so besonders? Im Gegensatz zu modernen Obstplantagen, auf denen wenige Niederstamm-Sorten mit massivem Dünger- und Pestizideinsatz auf maximalen Ertrag getrimmt sind, werden Streuobstwiesen extensiv bewirtschaftet. Hier stehen verstreut einzelne großkronige Hochstamm-Obstbäume auf einer Wiese, die mit Dauergrünland oder Acker- bzw. Gartenland bewachsen ist. Dadurch enstehen wahre Paradiese für Biodiversität: äußerst strukturreiche Mini-Lebensräume, die so artenreich sind wie sonst nur noch natürliche Bachläufe oder Gebirgslandschaften. Rund 5000 Tier- und Pflanzenarten finden in einer Streuobstwiese Heimat, darunter viele gefährdete Arten wie der Steinkauz oder Wendehals. Aufgestellte Bienenstöcke bereichern die Artenvielfalt und sorgen für gute Bestäubung. Die Bewirtschaftung von Streuobstwiesen erfolgt schonend, Pestizide oder Kunstdünger werden meist nicht verwendet. Bei der Margetshöchheimer Streuobst-Genossenschaft sind die Bestände seit 2016 sogar Bio-zertifiziert. "Für den Grundwasserschutz spielen die Streuobstwiesen mit ihrer schonenden Bewirtschaftung eine herausragende Rolle im Ort", erklärt Krischan Cords. Allerdings müssten die Bäume dafür richtig geschnitten sein, sodass die Bewirtschafter*innen mit ihren Mähfahrzeugen den Unterwuchs, in dem sich Mineralstoffe wie Nitrat anreichern, in bestimmten Zeitfolgen abmähen können. Deshalb liegt ihm auch in punkto Umweltschutz die fachgerechte Pflege der Bäume am Herzen.
Streuobst ist ökologisch wertvoll, aber arbeitsintensiv
Traditionelle Handwerkstechniken, das heißt zahlreiche Schnitt- und Pflegemaßnahmen sind nötig, damit die Obstbäume gesund wachsen und Jahrzehnte lang Ertrag bringen können. Jedes Jahr müssen Tausende Bäume fachgerecht geschnitten werden. Das macht Streuobst im Verhältnis zur Plantage weniger lukrativ. Um dieses alte Wissen zu bewahren und weiterzugeben, bietet die Main-Streuobst-Bienen eG seit einigen Jahren Kurse zum "Zertifizierten Baumpfleger Streuobst" an, der inzwischen von mehr als 100 Privatleuten, Landwirten und Baumpflegern erfolgreich absolviert wurde. Aktuell bewirtschaftet die Genossenschaft allein in der Margetshöchheimer Wasserschutzzone rund 15 Hektar Streuobstwiesen, eine verhältnismäßig große Fläche. "Es dürfte gerne noch mehr werden", berichtet Cords. Zahlreiche alte Streuobstflächen würden in Margetshöchheim nicht oder nicht mehr adäquat bewirtschaftet, die Bäume gingen dadurch kaputt. Dabei kann die Genossenschaft ganz unkompliziert die Pflege privater Streuobstflächen übernehmen oder diese zur Bewirtschaftung pachten; auch Flächen für Neupflanzungen werden immer gesucht. Zur Pflege gehört für Cords aber nicht nur der Schnitt, sondern auch die kulturelle Dimension des Obstes: meist stehen auf den Streuobstwiesen Bäume verschiedenster Arten beieinander - Äpfel, Birnen, Kirschen, Zwetschgen und viele andere. Häufig werden verschiedene, teils historische Sorten kultiviert, die an die regionalen Bedingungen besonders gut angepasst sind. Allein über 100 Apfelsorten baut die Genossenschaft an und pflanzt entsprechend nach. Obwohl es unzählige Apfelsorten gibt, finden sich deutschlandweit in den Supermärkten nur noch knapp 10 Sorten. So trägt der Streuobstanbau auch dazu bei, die genetische Vielfalt natürlicher Lebensmittel zu erhalten. Und das klimaschonend bei uns vor der Haustür.
Die Genossenschaft will den Streuobstanbau bekannt machen und bewahren
Dass die Streuobstkultur in Margetshöchheim wieder wertgeschätzt wird, ist dem Engagement Einzelner zu verdanken. Ab 2007 wurde in Mainfranken in Zusammenarbeit mit der Landesanstalt für Wein- und Gartenbau (LWG), dem Landschaftspflegeverband (LPV) und vielen Streuobstakteuren ein Programm zur Erhaltung alter Kernobstsorten mit Obstsortenkartierung ins Leben gerufen, das die hiesige Sortenvielfalt aufzeigte. Daraus erwuchs der "Runde Tisch Streuobst" mit Mitgliedern von LPV, Mainfänkischen Werkstätten, Streuobstbewirtschafter*innen und Imker*innen sowie dem Margetshöchheimer Bürgermeister Waldemar Brohm, der die daraus resultierende Gründung der Genossenschaft Main-Streuobst-Bienen eG im Jahr 2014 entscheidend vorantrieb. Ein Jahr später trat Krischan Cords seinen Posten als Geschäftsführer an und organisierte die erste Obstannahme. Für die Vermarktung der Obsterzeugnisse (Säfte, Edelbrände, Aufstriche, etc.) wurde die Dachmarke "MainSchmecker" ins Leben gerufen. Mittlerweile bewirtschaftet die Genossenschaft rund 45 Hektar in drei Landkreisen (Würzburg, Main-Spessart und Kitzingen); der mit rund 20 Hektar größte Anteil befindet sich in Margetshöchheim. Inzwischen ist die Genossenschaft auf knapp 130 Mitglieder angewachsen; circa 50 Bewirtschafter*innen liefern das Bioland-zertifizierte Obst. Ihren Sitz hat die Genossenschaft mit einem kleinen Büro im Rathaus, die Lager- und Verkaufsräume befinden sich in der alten Obsthalle in der Pointstraße. Für Cords wäre ein Streuobstzentrum eine wichtige Möglichkeit, das Wissen um den traditionellen Streuobstanbau und die Vermarktung der Produkte zukunftsfähig zu machen. Verkostungen, Öffentlichkeitsarbeit durch Schulungen, Seminare oder Informationstage für KiTas und Schulklassen seien in den aktuellen Raumlichkeiten nur eingeschränkt oder gar nicht möglich. "Grüne Klassenzimmer" hat Cords bereits abgehalten. Die Pläne der Gemeinde zur Errichtung eines Streuobstzentrums sieht er positiv. Einerseits scheine die Fläche am Zeilweg zunächst suboptimal, weil sie in der Wasserschutzzone liegt und dadurch während der Baumaßnahmen nachteilige Effekte auf die Umwelt haben könnte, sagt Cords. Doch aus seiner Sicht würden die Vorteile für die Zukunft ganz klar überwiegen. Ein Streuobstzentrum auf einer Streuobstwiese böte nunmal die beste Möglichkeit, den Menschen das Wissen und die Besonderheiten rund um den Streuobstanbau nahezubringen und an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Für den Umwelt- und Grundwasserschutz in Margetshöchheim gebe es nichts besseres als gut gepflegte Streuobstwiesen, sagt Cords. Zudem würde das geplante, in der Region einzigartige Streuobstzentrum dem Thema auch überregional einen ordentlichen Schub verleihen. Völlig zurecht sei es ein Leuchtturmprojekt der acht ILE-Gemeinden. Zudem wüsste Cords keine andere Fläche in Margetshöchheim, die für ein solches Vorhaben geeignet wäre. "Es gibt umliegende Gemeinden, die sich über ein Streuobstzentrum sehr freuen würden", weiß Cords, "es wäre wirklich schade, wenn es nicht in Margetshöchheim entstehen könnte, obwohl die Genossenschaft hier sitzt und wir hier die meisten Streuobstwiesen haben".
Eine Jahrhunderte alte Tradition
Der Begriff "Streuobstwiese" ist erst wenige Jahrzehnte alt, doch diese einzigartige Form der Bewirtschaftung blickt auf eine uralte Geschichte zurück. Schon vor 4000 Jahren nutzten die Steinzeitmenschen Wildobst wie Schlehen und Holzäpfel. Unsere heutigen Obst-Kulturformen brachten dann die Römer in die germanischen Kolonien nach Mitteleuropa. Im milden mainfränkischen Klima konnten Wein und Obst gut gedeihen. Bis ins 15. Jahrhundert wurde der Obstbau in Fürstenhöfen, Klöstern und Städten betrieben - mehrere Städte, darunter Nürnberg, nannten sich damals "Gartenstadt". Ob der Margetshöchheimer Beiname "Gartendorf am Main" auch aus dieser Zeit rühren könnte, ist leider nicht bekannt. Später verlegte man die Obstgärten an die Ränder der Siedlungen und in die freie Landschaft - Streuobstgürtel entstanden. Nachdem der Dreißigjährige Krieg den Obstbau stark in Mitleidenschaft gezogen hatte, florierte er wieder, als im 18. Jahrhundert die Bürger zu Pflanzungen außerhalb der Gärten und Dörfer verpflichtet wurden. Für die Ernährung spielte der Obstbau damals eine wichtige Rolle. Mit der Industrialisierung änderte sich einiges - Mineraldünger steigerte die Ernten, Maschinen und Geräte sorgten für schnelle Verarbeitung und Transport. Obst wurde Handelsware. Margetshöchheims damalige Entwicklung ist typisch für viele Regionen: weil sich die Nordhänge der Bachwiese für den Weinbau nicht mehr rentierten, verlagerten sich die Einwohner ab 1830 auf das gewinnbringende Streuobst. 1907 wurde der Obst- und Gartenbauverein gegründet. Später verlor der Streuobst-Anbau aber deutschlandweit zunehmend an Bedeutung, denn die lukrativere Plantagenwirtschaft, der Import von Obst und Saft und in den 1950er Jahren eine Rodungsprämie für Obstbäume dezimierten die bundesweiten Streuobstflächen um bis zu 80%. Dass Margetshöchheim heute noch über mehrere tausend Streuobstbäume auf zusammenhängenden Streuobstflächen verfügt, ist eine Besonderheit. Die Schönheit und Besonderheit dieses Lebensraums in unserer Heimat sollten wir unbedingt bewahren.
Weitere Informationen finden Sie auf den Webseiten der Genossenschaft:
https://www.streuobst-bienen.de/cms/